Mittwoch, 25. November 2009

WIE HABAKUK DIE WELT ERLEBTE 7

Lieber Onkel. Meine Eselin Ruhla bringt mich beinahe zur Verzweiflung. Sie verursacht mir so viele Scherereien, dass ich mir schon überlegt habe, ob ich sie verkaufen soll. Doch zu einem Kamel reichen mir die Mittel nicht. Ferner möchte ich Dir gegenüber nicht respektlos und undankbar sein, weil ich das Geld, das Du mir immer wieder schickst, auf solchen Luxus ausgebe.
Gestern kam ich auf meiner Reise durch Indien in Vijayanagar an, wo bekanntlich rigorose Vorschriften für Ordnung und Sitte sorgen. Wieder einmal wollte sich meine Eselin nicht an die Gesetze halten. Hier ist nämlich nachts ausdrückliches Hupverbot vorgeschrieben, doch das Tier konnte es nicht lassen, vor der Münzstätte wegen einer kurzen Wartezeit wie ein Esel zu brüllen. Ich wurde sogleich über die Strasse geführt, zum Amt des Stadtpräfekten. Hier hat man mir eine empfindliche Busse aufgebrummt. Du kannst Dir vorstellen, dass ich „äußerst aufgebracht war. Nachträglich muss ich aber zugeben, dass dies auch seine gute Seite hatte, weil mich die Gegebenheit zu einer angenehmen Abwechslung verholfen hat.
Der Stadtpräfekt wohnt in einem großartigen Palast. Ich konnte meinen Augen kaum trauen: alles reich geschmückt, geschmacksvoll ornamentiert, die Möbel mit kostbaren Stoffen bezogen und mit Halbedelsteinen belegt, der Boden mit Intarsie aus verschiedenfarbigem Marmor, schlicht und einfach alles luxuriös. Was mich aber am meisten verblüfft hatte waren die unzähligen Polizisten, die im Palast, in der Parkanlage und um den Sitz des Präfekten herumstanden. Als dieser meine Verwunderung sah, sagte er stolz, dass ihm zwölftausend, ja sage und schreibe zwölftausend Polizisten unterstellt sind.
“Das ist ja ein Polizeistaat" rief ich aus. „Die Einwohner werden hier von den Steuern erdrückt, um so viele Beamten zu besolden."
Der Stadtpräfekt lächelte und sagte mir gütig, hier werde für die Besoldung der Polizei keine Rupie von Steuergeldern eingesetzt. Natürlich glaubte ich ihm kein Wort.
“Sie wollen mir doch nicht weismachen, ihre Polizisten würden aus Idealismus arbeiten!"
“Aus Idealismus gewiss nicht. Sie sind die bestbezahlten Beamten im Reich", belehrte mich der Präfekt.
Meine Verblüffung verriet ihm, dass ich ihm nicht recht glauben wollte.
“Kommen Sie mit mir", forderte er mich auf und führte mich zu einem hell erleuchteten Gebäude. Wenn an diesem Bau schon von außen alles so glänzte und glitzerte, dass einem vor Staunen Sehen und Hören vergingen, so war das noch nichts im Vergleich mit dem Glanz der Innenräume. Ich glaube, hier war es noch schöner als im Palast des Präfekten.
“Gehen Sie durch, ich warte auf Sie im Foyer", sagte mein Begleiter und setzte sich.
Ich ging durch. Lieber Onkel, es war eine Pracht! Der Palast war voll von hinreißend schönen Frauen. Ihre Schmeicheleien und verliebten Blicke, ihre Reize, die großzügig zur Schau getragen wurden waren unbeschreiblich, ja unwiderstehlich. (Was aber Ibrahim nicht beschreiben wollte, wird der diskrete Blogger auch nicht weiter erläutern.) Als ich nach langer Zeit im Foyer wieder auf den Stadtpräfekten traf, sagte er zu mir: „Sehen Sie, Sie haben der Polizei eine Goldrupie gestiftet."
Ich schaute ihn verständnislos an. „Ja Sie haben für Ihr Vergnügen zwei Goldrupien ausgegeben, davon geht die Hälfte, also eine Rupie zur Deckung der Polizeikosten. So einfach ist das, nicht wahr?"
“Drei", sagte ich leise.
Der Präfekt musterte mich anerkennend.
Siehst Du, Onkel Habakuk, es handelt sich hier um eine Art Frauensektion der Polizei. Sie funktioniert so gut, dass hier jeder Junge davon träumt, wegen der vorzüglichen Besoldung Polizist zu werden. So entstand ein Polizeistaat, der, wie alle Polizeistaaten, in Friede und Freude regiert wird. Der Name der hiesigen staatlichen Finanzquelle wird einmal vielleicht auf die ganze Staatsform übergehen. Ich glaube, unsere Urenkel werden diese Regierungsform nicht mehr „Polizeistaat" nennen, sondern nur noch „Bordell".
Mit herzlichen Grüssen
Dein Neffe Ibrahim
P.S. Am Abend habe ich meiner Eselin zur Versöhnung zwei Karotten mehr als üblich gegeben.

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