Sonntag, 28. Februar 2010

WIE HABAKUK DIE WELT ERLEBTE 11

Ich habe mich kürzlich auf meinem Wege verirrt. Wie gewöhnlich bin ich zur Siestazeit auf dem Rücken meiner Eselin eingenickt und verließ mich darauf, dass mich das Tier in der eingeschlagenen Richtung weiterführte. Ich musste dabei eine teure Wahrheit lernen: wer Eseln traut, ist selbst ein Esel. Die schlechte Ruhla ließ sich nämlich von einem mit Disteln überwachsenen Pfad verführen. Für ihren Magen hatte sie Treue und Gehorsam geopfert.
Als ich von meinem Nickerchen erwachte, war ich in einem endlosen Wald gründlichst verloren, nicht weniger, wie die Stecknadel im Heustock. Mit eindeutigen Gesten klärte ich die Eselin über meinen frustrierten Seelenzustand auf und beschloss den Weg zu suchen. (Hier muss ich einige Stunden überspringen, der unfeinen Ausdrücke wegen, die während dieser Zeit gefallen sind.)
Als wir am Abend immer noch im Wald waren, begann ich mich mit dem Gedanken abzufinden, dass ich die Nacht in der Wildnis, im schlimmsten Fall im Magen eines Raubtiers, verbringen musste. Bald schon schien mir die zweite Möglichkeit besonders wirklichkeitsnah, denn aus der Ferne war ein fremdartiges Heulen zu hören. Es schauderte mich ob dieses verzweifelten Gebrülls, das ähnlich tönte, wie die Angstschreie von vielen-vielen Menschen, die in den Rachen der wilden Tiere geraten sind.
Ich schlich mich an, in Richtung der Geräusche.
Nach einigen Umwegen stieß ich auf eine Waldlichtung. Das Bild, das mir sich hier bot, überraschte mich nicht wenig. Derweil ich Tiger erwartet hatte, Boaschlangen und wütende Elefanten, erblickte ich nur heulende Menschen, die sich am Boden wälzten, mit der Stirn gegen die Erde schlugen, die Arme verwarfen und lautstark zu leiden schienen. Mitten auf der Lichtung war ein großer Scheiterhaufen aufgetürmt, auf dem reglos ein Mann lag, offensichtlich tot.
„Eine Trauerfeier“, dachte ich erleichtert.
Ich hielt mich unbeachtet am Waldrand zurück. Mit Interesse verfolgte ich das beeindruckende Geschehen. Auf einen einzigen Wink des Zeremonienmeisters verstummten alle und erhoben sich. Der Dorfmagier nahm dann eine Frau bei der Hand und begleitete sie, von den schweigenden Blicken der Trauernden gefolgt, auf den Scheiterhaufen. Er band sie neben dem Toten an und stieg wieder mit feierlicher Würde hinunter.
Ich ahnte Schlimmes und wurde nervös. Ich stürmte vor und packte einen Mann am Arm und machte ihn auf die große Gefahr aufmerksam, der die Frau ausgesetzt war.
„Ich wollt doch nicht Feuer anlegen?“, sagte ich ihm warnend.
Er schaute mich verwirrt an.
„Warum nicht? Sie ist die Witwe des Verstorbenen“, sagte er mit großer Selbstverständlichkeit.
„Aber sie lebt noch“, verdeutlichte ich das Missverständnis.
„Sie muss sterben. Bei uns werden die Witwen mit ihren toten Ehemännern verbrannt.“
Ich schüttelte den Kopf. „Das ist ja Wahnsinn! Wie kommt ihr dazu?“
„Das Gesetz schreibt es vor.“, gab er mir zur Antwort. „So wird es verhindert, dass die Frauen ihre Ehemänner vergiften.“
Eine eigenartige Einrichtung, die Ehe, lieber Onkel Habakuk. Sie ist der Versuch zweier Menschen, einander glücklich zu machen: mit Giftbecher und Scheiterhaufen.

Mittwoch, 24. Februar 2010

HURRAH, WIR LIEBEN UNS 2

Am 6. August 2001 wurde in Alipur im Gliedstaat Uttar Pradesh in Nordindien auf dem Dach eines Hauses vor Hunderten von Zuschauern ein junges Liebespaar erhängt. Die Eltern des Paares waren bei der illegalen Hinrichtung dabei. Der Grund dieser Todesstrafe war, dass der 19-jährige Mann zu der höchsten Hindukaste, den Brahmanen gehört hatte, während seine 18-jährige Freundin aus der niederen Kaste der Jats stammte. (Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 9. August 2001, S. 51) Eine unverzeihliche Missachtung von Sitte und Tradition in Indien. Sagen Sie bitte nicht, liebe Leser, Indien wäre ein unterentwickeltes Land. Es hat schließlich die Atombombe.

Samstag, 20. Februar 2010

DER FLUCH DER SCHÖNHEIT

Viele Menschen träumen davon, schön zu sein, so schön wie beliebte Filmschauspieler oder Fotomodelle. Einige geben dabei vieL, andere sogar sehr viel Geld aus, um schöner zu erscheinen. Der Wunsch nach Schönheit hatte zwar schon vor Jahrtausenden Techniken erfunden, das Äußere zurechzuhobeln, aber noch nie war die Schönheitsfabrik so produktiv wie heutzutage. Doch was dann, wenn die Schönheit zur Bürde wird? Als „zu schön“ für die Einreise nach Israel hat die Polizei des Flughafens Ben Gurion bei Tel Aviv eine russische Jüdin befunden und sie umgehend in ihr Heimatland zurückgeschickt. Die Frau erklärte, sie wolle nur ihren Onkel besuchen, doch sie konnte bei der Polizei keine Gnade erlangen. Selbst ihre in der Ankunftshalle wartende Familie durfte die Medizinstudentin nicht sprechen, bevor sie in ein Flugzeug nach Moskau steigen musste. (Neue Zürcher Zeitung, 29. Juli 1997)
Frage: verlangt die Staatsräson, dass eine Frau, um nach Israel einreisen zu dürfen, aussehen muss wie Golda Mair?

Mittwoch, 17. Februar 2010

DAS TUT ECHT WEH, IHR GESETZGEBER

Im Leben hat jeder viele Prüfungen zu bestehen. Denn schließlich ist der Alltag voller Tücken, die nur durch gründliche Vorbereitung zu bewältigen sind. Da ist zuerst die Schule, dann die Religion, die als Krönung des Unterrichts ein Examen abverlangen. Dann geht es weiter. Will man sich im Verkehr bewähren, so legt einer die Fahrprüfung ab; will sich einer einbürgern, so muss er seine Integration vor einer Kommission beweisen, möchte jemand einen Hund halten, so legen er und der Hund ein Examen ab. Da sollte man meinen, für die schwierigste Aufgabe im Leben wäre auch eine Prüfung vorgesehen, nämlich für die Kindererziehung. Nein, da wird jeder seinem natürlichen Talent überlassen. Wer erinnert sich nicht an die Diskussion über die antiautoritäre Erziehung, wo Befürworter und Gegner mit beinahe sektiererischem Eifer ihre Überzeugungen vortrugen. Die sich im Wildgehege der Zwanglosigkeit frei bewegenden Kinder terrorisierten Eltern, Nachbarn, Lehrer und Fürsorger und wurden in den meisten Fällen zu exemplarischen Egoisten. Andere riefen nach Strenge und Ordnung, wieder andere nach nichts. Mein Psychologieprofessor an der Universität versuchte ein Gleichgewicht zu predigen, das ich vor mehr als vierzig Jahren in meinem ersten Artikel in einer Zeitschrift, „Eltern“ hieß sie, über das Problem, ob Kinder Äpfel stehlen dürfen, der Weltöffentlichkeit zu Bewusstsein bringen suchte. „Ja“ bedeutete Freiheit, „nein“, Ordnung, mit meiner persönlichen Tendenz zur Ordnung. Die Kontroverse ist noch nicht ausgestanden. Als erstes deutsches Bundesland räumt Berlin dem Lärm von Kindern per Gesetz ausdrücklich Schutz ein und weist verärgerte Nachbarn damit in die Schranken. Von Kindern verursachte Geräusche seien künftig auch juristisch als sozial adäquat und damit zumutbar zu beurteilen. Die Nachbarn sollen also ruhig sein, wenn Kinder ihnen bei der Arbeit, beim Lesen, Musikhören oder einfach beim Mittagsschlaf die Nerven strapazieren. (Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 7. Februar 2010, S. 5). Natürlich brauchen die Kinder nicht zum sozialen Verhalten erzogen zu werden, natürlich müssen die Eltern kein Examen ablegen, wie man diese Gören in die Schranken weist. Auch im anderen Extremfall nicht: in Kambodscha erboste sich eine Mutter über ihre dreizehnjährige Tochter, die während eines Festes in eine nahe gelegene Pagode entwischte. Diesem Treiben musste Einhalt geboten werden, fand die Erzieherin und nagelte, um weitere Ausgänge zu verhindern, den rechten Fuß der Tochter kurzerhand an den Boden. (Vgl. Corriere del Ticino, 28 November 2002, S. 60). Müsste nach der Berliner-Justiz das Geschrei der leidenden Tochter auch in den „zumutbaren“ Rahmen fallen?

Montag, 15. Februar 2010

MARK-ant

Ein Glück, das man nicht alle kennt, die man nicht mag.
Michael Richter

Freitag, 12. Februar 2010

DAS TUT ECHT WEH, IHR FRAUENVERHÜLLER

Das Tagesblatt Gulf News berichtet von einem arabischen Botschafter, der in Dubai die hehre Absicht hatte zu heiraten. Eine alltägliche und recht gewöhnliche Sache, würde man meinen. Doch nicht so, wenn der Bräutigam seiner Auserwählten noch nie ins Gesicht blicken konnte, weil diese Burka-Trägerin ist. Erwartungsvoll stand der zukünftige Ehemann nach dem Jawort da, bereit sich zu verlieben, als die Braut den Niqab, die Kopfverhüllung des Ganzkörperschleiers lüftete. „Oh, my God“ mochte er ausrufen, was auf arabisch etwa wie „marhalla Allaha“ tönen konnte. Was er da sah war eine arg schielende, hässliche Braut mit stark ausgeprägtem Gesichtshaar. Der Bräutigam wandte sich an das Gericht, ersuchte um Annulierung des Eheversprechens und verlangte für die erlittenen moralischen Schäden Entschädigung.
Die Moral von der Geschicht,
kauf die Katze im Sack nicht.

Mittwoch, 10. Februar 2010

DAS BRAUTBUKETT

Die Volksgruppe der Oromo in Äthiopien, früher Galla genannt, kannte das Geheimnis, wie man Bräute verwöhnte. Früher galt bei ihnen ein Mann nicht als voll initiiert und heiratsfähig bevor er nicht die abgeschnittenen Genitalien eines Feindes heimgebracht hatte. Da kam doch ein Verliebter gewiss auf die Idee, seine Zuneigung durch einen Korb voll solcher Brautgeschenke zu beweisen. Schade, dass es damals noch keine Fotografen gab, die das Hochzeitsbild knipsten. Die Auserwählte, die mit einem solchen Brautbukett in der Hand in die Kamera lächelte.
Noch radikaler waren die Papuas: die mussten den abgeschlagenen Kopf eines Feindes als Trophäe auf den Altar legen.

Sonntag, 7. Februar 2010

WIE HABAKUK DIE WELT ERLEBTE 10

Diesmal entging ich in Persien nur knapp dem Tod, mein lieber Onkel Habakuk. In bin in eine sehr unerfreuliche Situation geraten. Zuerst ging zwar die Reise bestens, ich traf viele nette Menschen und bekam Neuigkeiten zu sehen, die man sonst nirgends antrifft. Doch als ich eines Tages vor den Gerichtshof geladen wurde, sah es wirklich so aus, als hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Der Grund des Aufhebens war, wie immer, meine Eselin Ruhla. Sie hatte ein Techtelmechtel mit einem königlichen Kriegshengst, es gab dann Komplikationen, namentlich ein Maulesel. Ich wurde der „Verunreinigung der reinen persischen Kriegsrossrasse“ angeklagt.
Ich brachte ein schlagendes Argument vor: Maulesel könnten sich nicht fortpflanzen, somit bestehe keine Gefahr, dass das Eselsblut meiner Ruhla die Ader der Kriegshengstrasse verpeste.
Schon die Tatsache, dass auf persischem Boden ein solches Ungetüm aus deiner Schule zur Welt gebracht wurde, ist strafbar, sagte der Richter.
Ich beteuerte, ich wäre unschuldig. Es war meine Eselin Ruhla, die sich einen Fehltritt erlaubt hatte. Der Richter, ein grimmiger Mann, blieb unbeugsam. Er hatte die eigenartige Gewohnheit, immer das gleiche Urteil zu fällen: der Angeklagte soll gehäutet werden.
Wenn du seine Geschichte hörst, wirst du verstehen, warum.
Sein Vater selig war Richter unter dem König Kambyses. Einmal, als er ein Urteil nicht nach dem Geschmack des Königs fällte, ließ ihn Kambyses häuten, seinen Richterstuhl mit der abgezogenen Haut überziehen und den Sohn des Ungelehrigen in das Richteramt einsetzten. Dieser fällte dann, in ständiger, heilsamer Hautfühlung mit seinem Vater königlichere Urteile. So ergab es sich, dass der Sohn-Richter ziemlich eintönig alle Angeklagten häuten ließ und mit derer Haut allerlei Sattlerarbeiten ausführen ließ.
Als ich vor ihn geführt wurde, begann er das Verhör wie folgt:
Wie groß bist du?
Einmeterachtundsechzig.
Brustumfang?
Zweiundachtzig.
Bundweite?
Achtzig.
Keine ausgesprochen Mannequinfigur, grunzte er. Er gibt gerade noch einen Küchenhocker ab.
Ich bin aber unschuldig, plädierte ich.
Küchenhocker also, sagte der Richter und wollte meinen Einwand nicht zur Kenntnis nehmen.
Lieber Onkel Habakuk, es waren schreckliche Augenblicke. Selbst der Gedanke an die delikaten Körperteile der Mägde, die einmal an meiner Haut herumrutschen sollten, gab mir in Anbetracht meines Loses keinen Trost. Ich glaube, dieser skrupellose Richter würde in der Not selbst das Fell seines Vaters zu Markte tragen und seinen Stuhl einem Antiquar verkaufen. Doch da das Philosophieren die Welt weder erklären noch verändern kann, halfen mir meine Überlegungen in dieser prekären Situation reichlich wenig. Der Richter begann meine Personalien aufzunehmen. Die braucht man für den Qualitätsnachweis, erklärte er mir.
Als er hörte, dass ich Jude bin, fragte er: bist du beschnitten?
Ja.
Ich hebe das Urteil auf. Der Sattler hätte mir dir nur Flickarbeiten, sagte er und ließ mich springen. Ich bin mir wieder sehr wohl in meiner Haut.
Herzliche Grüße
Dein Neffe Ibrahim

Donnerstag, 4. Februar 2010

WO WAR GOTT?

Sollte einer der Holocaust-Leugner die Idee vertreten, Gott hätte das fürchterliche Leiden des jüdischen Volkes unter dem Hitler-Regime gutgeheißen, so würde man ihn wohl lebenslänglich in ein Irrenhaus sperren. Aber was dann, wenn dies von einem Rabbiner gepredigt wird? Am 5. August 2000 hat Rabbi Ovadia Yosef, der damalige geistige Anführer der ultraorthodoxen Shas-Partei ausgesagt, die sechs Millionen Holocaust-Opfer seien Sünder, die wieder gekommen seien, um ihre früheren Vergehen zu büssen. (Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 7. August 2000). Mit anderen Worten hätte demnach Hitler nur das Urteil Yahwes ausgeführt. Welch ungeheuere Sünden mussten die Untertanen Gottes begangen haben, um auf solche Weise bestraft zu werden? Und welche Strafe gebührt einem Gott, der seinem Volk solches antut?

Dienstag, 2. Februar 2010

DER VERPOLTE AFFE KANN ZARTFÜHLEND SEIN

Blut fließen zu sehen war immer des Menschen Vergnügen. „Ein ganz besonderer Saft“ wäre Blut, heißt es schon im Faust. Es ist zwar sonderbar, doch eigentlich nicht überraschend, dass die Gläubigen der christlichen Religion darauf verfallen, das Blut ihres Erlösers zu schlürfen. Mit Blut werden Bünde besiegelt, Blut und nicht Gene begründet verwandtschaftliche Banden, Blut verlieh Rassen vermeintliche Überlegenheit und Blut sorgt heute noch für reine Beziehungen. Soll einer versuchen, bei orthodoxen Juden Mischehen einzuführen.
Die Freude, Blut fließen zu sehen war bei den alten Römern überaus beherrschend. Sie liebten die „venatio“, ein Wort, das eigentlich „Jagd“ bedeutet, doch auf die blutrünstige Tierhetzen angewandt wurde. Bei festlichen Anlässen veranstalteten gute Kaiser Schlachtorgien, wobei ab und zu tausende Tiere von Kämpfern niedergemetzelt oder von anderen Tieren zerfleischt wurden. Und der Plebs verfiel in Ekstase beim Anblick des Blutes, oder weniger poetisch gesagt, des Leidens. Doch die Empfindlichkeiten wurden geschont. Die Schergen verhüllten im Amphitheater zartfühlend die Statuen mit Tüchern, damit wenigstens diese die Hekatombe nicht ansehen mussten.
Das Leben ergötzt sich daran, Leben zu zerstören.