Mittwoch, 26. März 2014

Im stillen Kämmerlein

Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen wir, dass wir ziemlich überall bespitzelt werden. Schamlos werden wir ausspioniert, vorwiegend aber nicht auschliesslich durch die USA. Unsichtbare Geister dringen in unsere Privatsphäre ein, was sie dort suchen, ist uns unverständlich. Dennoch, behaglich fühlen wir uns dabei nicht. Wir waren daran gewöhnt, dass unser persönlicher Bereich Türen hatte, die wir nur denen öffnen, die wir erwählt haben. Doch das war nicht immer selbstverständlich. In der Vergangenheit gab es unzählige Gewohnheiten, bei denen die Intimsphäre nicht nur der unteren Gesellschaftsschichten offengelegt wurde. Die Levée, die sonderbare Audienz am französischen Königshof, die später auch in England, ja sogar in den USA von George Washington praktiziert wurde, erlaubte es hochgestellten Persönlichkeiten beim Erwachen und Ankleiden des Königs zugegen zu sein. Dies war eine institutionelle Zeremonie der Entweihung der Privatsphäre, jedoch mit Einverständnis aller Beteiligten. Eine Art Voyeurismus. Doch es gab noch merkwürdigere Beispiele. Als Gofredo Borja, einer der Söhne Papst Alexanders VI. mit der unehelichen Tochter König Alfons II. Von Neapel, Sanchia von Aragonien vermählt wurde, spielte sich eine sonderbare Szene ab. Das Brautpaar wurde in ihre Kammer geführt und von Frauen und Fräulein entkleidet und ins Bett gelegt. Dann traten der König und der päpstliche Legat ins Zimmer und schauten plaudernd dem Liebesakt der beiden zu. Nach etwa einer halben Stunde verabschiedeten sich alle und liessen die Liebenden gewähren. Auch der berühmte Bruder Cesare Borja hat für seine Hochzeitsnacht Zeugen aufgeboten. Das geht aus einer Aufzeichnung hervor, die durch einen Kurier an den Papst gebracht wurde. Sein Sohn Cesare, so hiess es darin, der ehemalige Kardinal, habe mit Fräulein d'Albert am Sonntag, den 12. Mai 1499 die Ehe geschlossen und vollzogen und es achtmal hintereinander gemacht. Guinessreif! Gerade bei hochstehenden Persönlichkeiten hatte diese Praxis eine wichtige Bedeutung: nach kanonischem Recht war die Gültigkeit der Ehe mit dem Vollzug des Geschlechtsaktes besiegelt. Bei Scheidungswünschen konnten also die Zeugen der Hochzeitsnacht beigezogen werden, um das Ansinnen auf eine Auflösung des Bundes zu verhindern. Im Mittelalter kannte man die "benedictio thalami", die Segnung des Ehebettes. Nach dem ausgiebigen und ermüdenden Mahl wurde das Brautpaar ins Schlafzimmer begleitet, die Braut wurde von den Freundinnen ausgezogen, ins Bett gelegt, ermutigt und mit guten Ratschlägen versehen. Dann legte man den frisch erkorenen Ehemann neben sie, der Priester segnete das Ehebett. Danach haben die Freunde mit einem Höllenkrach den Teufel vertrieben. Die Auffassung von der Privatsphäre hat sich also in der Geschichte gewandelt. Früher gab es Zuschauer im ehelichen Schlafzimmer, heute sitzt wohl nur der US Geheimdienst NSA am Bettrand der Liebenden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen