Mittwoch, 21. April 2010

MIT VOLLEM BAUCH STIRBT ES SICH LEICHTER

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam für viele eine sehr schwere Zeit. Nicht, weil sie vorher im versprochenen Paradies gelebt hätten, sondern weil jede Umstellung zuerst Schmerzen bringt. Die alten Strukturen müssen sich häuten, die neuen Machthaber verschaffen sich Ellbogenfreiheit, um ihre Vorrangstellung mit Arroganz zu festigen. Die Kleinen leiden weiter.
Die Soldaten in Sibirien gehörten zu diesen Kleinen. Der Staat gab ihnen nichts mehr zu essen. Die Unterernährten Jugendlichen waren ausgehungert und zu Skeletten abgemagert. Doch lange andauernder Hunger setzt die Triebe auf den Führerstand des Lebens, das Tier im Menschen übernimmt die Herrschaft. So geschah es, dass ein 18-jähriger Rekrut, der seit Tagen nichts mehr zu essen hatte, getötet hatte, um sich ernähren zu können. Als der Magen gefüllt war, übernahm wieder die Vernunft das Kommando. Er erkannte, was er getan hatte. Kurzerhand brachte er sich um. (Corriere del Ticino, 23. Oktober 1998).

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